Sie war nie gut genug. Nie hübsch genug. Immer gab es etwas auszusetzen an ihr. Die Bilder, die sie malte, waren zu kindlich. Ihr Gesicht zu plump und rund für ihre Mutter, die sich immer ihrer hohen Stirn so rühmte. Ihre Haare waren nicht blond genug und ihre Schrift nicht ordentlich genug. Und schlau genug war sie sowieso nicht, denn wie oft musste sie hören, dass das doch jeder verstand.
Nicht-Genugsein – mit diesem Gepäck startete sie ihre Reise ins Leben. Ins Erwachsenwerden. In die Liebe. Und sie bemühte sich ständig, ihre Fehler wettzumachen. Malte immer wieder und verzweifelte stetig, weil die Bilder nicht schön genug waren. Färbte sich ihre Haare, auch blond, war sich im Spiegelbild dennoch nicht genug. Der mütterliche Stachel des Nicht-Genugseins saß tief und verströmte sein Gift.
Wenn sie Erfolg hatte, Lob bekam, machte sie Fehler. Dumme Fehler, unabsichtlich, bis sie es auch von Kollegen, Chefs und sogar Freunden hörte: „Das ist zwar gut, aber…“ Sie kannte den Nachsatz auswändig. Und so machte sie sich auf und nahm sich eben nur die zweite Wahl. Oder die dritte, weil für die erste war sie ja nicht gut genug. Was sie mit Nicht-Gut-Genugsein verpasste, machte sie mit Fleiß wett. Oh ja, sie war so fleißig.
So ging das Jahre und sie fühlte sich wie im Dämmerzustand, immer war ein Teil von ihr betäubt, träumend und manchmal auch trottelig, wahrscheinlich hatte ihre Mutter sogar Recht gehabt.
Sie bekam Kinder. Und fühlte sich nicht gut genug als Mutter. Sah immer nur, was sie falsch machte, anstatt, was ihr gelang. Und manchmal sah sie auch nur das, was ihre Kinder falsch machten und sagte es. Viel zu oft. Und in ihr schlich sich die Angst ein, dass ihre Kinder glaubten, sie seien nicht gut genug.
Sie arbeitete fleißig, eigentlich unaufhörlich und diente – ihren Kindern und ihrer Familie. Hörte nie von ihren Kindern, sie sei die beste Mutter der Welt. Wie denn auch? Andere Mütter waren besser und sie hatte ihre Kinder dazu erzogen, auf gar keinen Fall zu lügen.
Eines Tages aber passierte es. Sie musste mit ihrem Sohn zum Sprachtest. Und da stellte sich heraus, dass er hochbegabt war. Sie recherchierte lange und intensiv. Dabei las sie nicht die Diagnose ihres Sohnes. Sie las ihre eigene. Sie war nie gut genug, einfach, weil sie es nicht gewusst hatte, warum sie so anders war.
Von dem Moment an änderte sich alles. Sie malte, wie sie noch nie gemalt hatte und mochte ihre Bilder. Sie schaute in den Spiegel – und mochte sich nicht nur, sondern fand sich ausgesprochen hübsch. Sie schrieb – und wurde erfolgreich. Sie hatte viel mehr Talente als üblich. Sie war nicht fehlerhaft, sie war nur anders, vielschichtiger, tiefsinniger. Als sie das erkannt hatte, lag plötzlich ein Zettel auf ihrem Schreibtisch: „Beste Mama der Welt.“
Sie sah in den Spiegel und lächelte. So wie sie noch nie gelächelt hatte. Wach. Voll da. Bereit, endlich anzuerkennen. Sich selbst. Und all das, was wirklich verdient hatte. Sie war nicht genug. Sie viel mehr als das.