Chiron – der verletzte Heiler

In der griechischen Sagenwelt gibt es eine Gestalt, die mich immer wieder tief berührt: Chiron, der verletzte Heiler. Einer, der durch die Dunkelheit gegangen ist und sich selbst befreit. Ein Verwundeter, der in der Suche nach Medizin für sich selbst viele andere heilt.

der griechische Gott Chiron, der verwundete Heiler als Aquarell

Ich habe einmal eine Frau getroffen, die mir einen Satz gesagt hat, der mich bis heute begleitet: „Die meisten Menschem, die diese besonders lichtvolle Ausstrahlung haben, haben ein sehr schweres Erlebnis im Leben überwunden und sind zur Spiritualität gekommen.“ Damit spricht sie ein Thema an, das schon in der griechischen Mythologie zu finden ist. Das Prinzip des verwundeten Heilers.

Es ist ein so starkes und zugleich so tröstliches Bild. Der Heiler, der selbst tief verwundet ist, kann nur aus seiner eigenen Verletzlichkeit heraus Wunder vollbringen. Oder anders gesagt: Das Anerkennen der eigenen Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit ist die Grundlage unserer Menschlichkeit überhaupt. Es ist Fundament für Mitgefühl und unser soziales Handeln, für andere einzuspringen und da zu sein.

Die Kraft der Wunden

Oftmals sind es eben diese großen Wunden, die unser Leben verändern und uns Kraft geben, unser Leben zu verändern. Denn leider ist es so, dass die meisten Menschen durch Leid am meisten lernen. Leid öffnet das Herz, es ist wie eine Initiation, eine Initialzündung. Wir können plötzlich das Leid der anderen viel besser verstehen, wenn wir selbst schon einmal ähnliches gefühlt haben, verstehen den Schmerz, die Angst und die Verzweiflung der Menschen, die in ähnlichen Situation stecken. Empathie und Mitgefühl sind nun die Stärke, die die tiefen Wunden hinterlassen haben.

Der verwundete Heiler hat erkannt, dass sich Leiden nicht stoppen lässt und man ihm schon gar nicht ausweichen kann. Leiden ist ein Teil unseres Weges hier auf der Erde. Es hilft nichts, sich dagegen aufzulehnen, dagegen anzukämpfen oder gar dem auszuweichen. Wir können dem nicht entweichen oder nur Wesen des Lichts sein, jeder Mensch hat auch seine Schatten. Wer immer nur lichtvoll sein möchte, der unterstützt letztendlich auch den Aspekt der Trennung, denn es gibt das Dunkle, den Kummer, die Verwundungen. Es ist wichtig, sich nicht von all dem zu trennen, sondern friedvoll damit sein zu können und sie zu integrieren. Verzweiflung, Hass, Wut, Schmerz und Trauer dürfen nicht ausgeblendet werden, ebensowenig wie wir uns darin verlieren sollten.

Frieden schließen

Letztendlich sind es aber nicht die Schatten, in denen wir uns verlieren, sondern die Geschichten dazu, die wir uns wieder und wieder erzählen. Deswegen ist es wichtig, Frieden mit alten Geschichten zu machen, zu vergeben. Zunächst sich selbst und dann den anderen. Denn wer tief fällt, in die hinterste Grube, wo kein Lichtstrahl mehr hinkommt und nur noch Trauer, Wut, Dunkelheit und Ausweglosigkeit ist, hat es vielleicht schon gemerkt: Die Wunde ist zugleich ein Ort der Wunder. Ich mag ja Sprache sehr und fast könnte man meinen, Wunder sei eine Steigerung von wund, also wund – wunde – wunder.

Genau an dieser dunkelsten Stelle im Leben begegnet uns oftmals unsere eigene Seele, unsere Stärke, unser ureigenes Licht. Unsere innere Führung. Letztendlich unsere Essenz. Es ist der Moment, in dem wir den Glauben an das Getrenntsein aufgeben. Wenn wir das Dunkle akzeptieren, haben wir eine Baustelle im Inneren weniger, denn wir müssen nicht gegen etwas in uns kämpfen. Wir haben eine Quelle des Mitgefühls gewonnen, aus der wir schöpfen können und vielleicht auch anderen Menschen helfen und heilen, die in Not sind. Wir haben nun unseren ureigenen Medizinman/ unsere Medizifrau gefunden – in uns selbst.

Verletzbarkeit anerkennen

Es ist ein Weg mit vielen Stationen, den Weg des Chiron zu gehen. Es geht zum einen darum, seine eigene Zartheit und Verletzbarkeit zu akzeptieren, ebenso aber wie seine eigenen Dunkelheiten und Schattenseiten. Dazu gehört es auch, sich seine eigenen Wunden genau anzuschauen, anstatt sie reparieren zu wollen oder ein sinnbildliches Pflaster darauf zu kleben. Es geht um Akzeptanz und volles Bewusstsein. Nicht verdrängen, sondern hinschauen und im vollen Bewusstsein die Schatten ebenso annehmen wie die lichtvollen Seiten und dann einen ganz eigenen Weg der Heilung finden. Zumeist ziehen sich so stark verletzte Menschen zurück in den Schutzpanzer. Es ist wichtig, diesen Zustand zu verlassen und eben nicht sein Herz einzumauern und aus Angst vor weiteren Verletzungen solche Situationen zu meiden.

Es ist immer gut, sich bei Prozessen wie diesen Hilfe zu suchen, das kann ein Arzt, ein Psychologe ebenso sein wie ein Geistheiler oder auch ein guter Freund. Mit dieser Hilfe und dem Bewusstsein führt der Weg zunächst in den eigenen Körper, in dem Verdrängung und Trauer sich möglicherweise schon in Krankheiten gezeigt haben. Es geht darum, wieder bei sich anzukommen, seine Vitalkräfte zu spüren und sich in seiner Verletzlichkeit zu zeigen. Herzoffen, ohne Panzer und vielleicht auch ohne trennende Bewertungen. Denn irgendwann wird uns vielleicht klar, dass unsere größten Wunden zugleich die größte Quelle unserer Kraft sind.

Die Sage von Chiron

Chiron ist eine griechische Sagengestalt, die in Form eines Kentauren auf diese Welt gekommen ist, also halb Pferd, halb Mensch. Er ist der Sohn von Kronos und Philyra. Enttäuscht über ihren wilden Sprössling, der halb Pferd war, ließ sich die Mutter Philyra von Zeus in eine Linde verwandeln. Chiron als Kentauer war unsterblich. Doch eben nicht unverletzbar. Eines Tages hat ihm Heraklon (auch Herkules) versehentlich einen stark vergifteten Pfeil ins Bein geschossen. Chiron bekam eine Wunde, die ihm unsägliche Qualen bereitete. Auf der Suche nach Heilung reiste er durch viele Regionen, lernte viel über Heilkunst. Er entwickelte sein eigenes Heilkundesystem, das er zunächst an sich und später mehr und mehr an anderen angewendet hat. Seine Kenntnis war riesig, doch er konnte sein Leiden nicht lindern. Er blieb in seiner Unsterblichkeit gefangen und musste große Qualen durchleiden. Eigentlich würde er lieber sterben.

Chiron bat Zeus, seine Unsterblichkeit aufzugeben. Zeus willigte ein, Chiron durfte sterben und befreite mit seinem Ableben Prometheus, für den ein Unsterblicher, so hieß es, sein Leben lassen musste. Chiron aber lebte dennoch weiter. Nur nicht als Kentaur. Zeus setzte ihn als Sternbild an den Himmel und verewigte ihn als Sternbild Zentaur, wo er bis heute am Himmel leuchtet.

Chiron gilt als wichtiger Helfer und der weiseste der Kentauren. So soll er nicht nur Asklepois zum Arzt ausgebildet haben, sondern auch das Wort Chirurg auf ihn zurückgehen.

Die Chiron-Qualitäten in uns

Jeder Mensch hat auch Chiron-Qualitäten in sich. Letztendlich geht es immer darum, die eigenen Dämonen aufzuspüren, sich ihnen zu stellen, sie akzeptieren und in Frieden mit ihnen zu sein. Es geht letztendlich auch darum, Angst und Wut in Liebe zu verwandeln. Das beschreibt dieser Beitrag sehr schön.

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Kategorie Götter

Das bin ich: Schamane und Heiler sind große Worte für Qualitäten, die jeder in sich trägt. Keines davon erscheint mir ein passender Begriff oder gar ein passendes Bild, denn eigentlich ist der Gedanke vermessen, dass man andere heilen kann. Was ich aber kann, ist dir Raum geben für deine Themen, dir passende Fragen stellen und Prozesse in Gang bringen. Das ist, was ich tue, egal, ob ich als Buchautorin, Kräuterfrau oder Tierheilpraktikerin arbeite oder einfach nur mit dir einen Tee trinke. Mehr über mich findet Ihr auf auf meinem Reiseblog www.indigo-blau.de

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Jürgen La-Greca
Jürgen La-Greca
3 Jahre zuvor

Liebe Andrea, ich danke Dir für diesen Beitrag. Ich verfolge schon lange Deine Seite und bin einfach begeistert. Mir ist bei Deinem Beitrag wieder mein alter Leitsatz ins Gedächtnis gerufen worden:

„Wer die Schatten nicht ehrt, kann das Licht nicht sehen.
Wer das Licht nicht kennt, kann die Schatten nicht verstehen.“

Danke Dir und viele wundervolle Momente Dir. Die Elemente seien mit Dir.